Gary Peacock DVD
Liebe Gemeinde,
Rezension von Gary Peacock "The acoustic bass.Musicianship and improvisational techniques". Homespun video. Letztes Jahr wurde das Video auf DVD wiederveroeffentlicht, habe mir's gerade gekauft, ist der Hammer.
Zuerst war ich ja nicht so begeistert. Produktionstechnisch ziemlich mau, billiges Anklippmikro nervt, Bild und Tonqualitaet nicht gerade toll. Wie bei Videos ueblich scheint, ist das Beilage-Heftchen eher ein Witz, man ist halt drauf angewiesen, Gary sprachlich zu folgen. Vom Akzent her ist er gut verstaendlich, er neigt bloss zu einer gewissen Weitschweifigkeit - koennte zum Teil etwas einfachere Saetze bauen, mit Ruecksicht auf internationales Publikum. Da er aber alles recht ausfuehrlich erklaert, ist es eigentlcih kein Problemn wenn man mal einen Satz nicht kapiert.
Am Anfang hat es etwas Laengen. OK, da geht es um die Basics, trockene Geschichten, auch wenn 's wichtig ist. Gary geht sehr gruendlich auf entspannte Koerperhaltung und Spieltechnik ein. Dabei greift er zum Teil intonationsmaessig unglaublich daneben (auch Tonmaessig ...schepper...knarzz).
Die Kapitel ueber IMprovisation sind aber wirklich der Hammer - haben mir echt neue Ansaetze eroeffnet - und ich bin nicht erst seit gestern dabei.
Erstmal fuehrt er ein Sysem ein, das er "Tonic sol-fa" nennt. Hier bekommt jeder Ton einer Tonart eine Silbe aehnlich den italiaenischen Tonnamen (do re mi fa so la, und dann aber ti, nicht si), doch DO ist immer der Grundton, re immer der Ton darueber, mi die Terz, usw. Er unterscheidet "pitch" "note" und "tone". Pitch ist die Tonhoehe, note die Repraesentation als Notensymbol, waehrend "tone" eben in den Silben ausgedrueckt wird und die Funktion anspricht (also Relation zur Tonart). Also ein C waere in F-Dur So, in as-dur MI, in C-dur do usw.
Die Silben sind an sich wumpe (ausser dass man sie wahrscheinlich besser singen kann) - man koennte das auch in Zahlen (als Stufen der Tonart) denken. Wo es ihm drum geht, ist ein Ton oder ein Intervall im KOntext der Tonart zu hoeren. Zum Beispiel spielt er eine Terz an, und fordert einen auf: Hoer in dich rein, was hoerst du, wie geht es weiter? Das nachspielen und analysieren. Wird meist bei rauskommen, aha, ich habe den unteren Ton als Grundton gehoert. Doch da gibts, fuer die Durterz, noch zwei weitere moeglichkeiten (Im streng diatonischen Rahmen). Das Intervall C-E koennte in C-dur stehen, aber auch in F-dur oder in G-dur. Da schlaegt er die Uebung vor, zuerst das Intervall zu spielen, dann mental es bewusst in einer der MOeglichkeiten zu hoeren, und dann was zu spielen, was den Tonartkontext bestaetigt. Kann man natuerlich auch auf den chromatischen Bereich erweitern, wenn man mit den nach Gary 42 diatonischen Moeglichkeiten durch ist.
Das ganze KOnzept bezieht er dann auch auf Akordverbindungen, wobei dann so Sachen drankommen wie das Stueck in Bereiche aufteilen, die in einer Tonart stehen, und dann an den Nahstellen wo moduliert wird, die Dskrepanz zwischen pitch und tone zu hoeren. Oder versuchen streng diatonisch ueber Akkordverbindungen zu spielen, die die Diatonik durch Zwischendominanten usw aufweichen. Also nicht von Akkord zu Akkord der jeweils passenden Skala nachhecheln (die Anfaeger-Aebersold Methode, wo man jeden Akkord isoliert als eine Art erste Stufe behandelt), sondern cooler rangehen, Bereiche ausfindig machen, die in der gleichen Tonart stehen, und da intuitiv drueber spielen (obwohl man natuerlich analytisch weiss, was da abgeht).
Theoretisch war mir vieles davon bekannt, habe manches aber erst jetzt so richtig kapiert, weil es einfach sehr plastisch rueberkommt. Und es zeigt sich, hey, der kann ja noch richtig spielen (hatte man bei den verpatzten C-dur Tonleitern am Anfang fast bezweifelt). Beindruckende, geballte Ladung Musicianship - wenn er manchmal zwischendurch so vor sich hinsingt (um zu demonstrieren, dass man in sich reinhoeren soll und diesen tonalen Krempel intuitiv abspeichern soll), und dann faehrt er auf Instrument ab - da merkt man echt, der hat es einfach drinnen - das ist ein mentaler Prozess, geistige Freiheit, da gehts nicht um Skalen- oder Fingermchanik.
Also, 100% empfohlen fuer jede(n), die/der tiefer in die Jazzimprovisation einsteigen will.
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