Reise-Baß im "Sinfonie-Orchester Tempelhof"
Manche mögen's heiß
Wenn sich am 26. Juni 2009, einem schwülwarmen Freitag, auf der Autobahn A2 plötzlich ein Krater aufgetan und einen Reisebus verschlungen hätte, dann wäre Berlin-Tempelhof mit einem Schlag um ein Sinfonieorchester ärmer gewesen. Und nur die Hälfte der Baßgruppe und etwas Fagott wäre übriggeblieben - weil Hans und ich nämlich jeweils mit eigenem Auto anrückten...
So aber gelangte das S.O.T., der Dirigent Mathis, ein Laderaum Instrumente jeglicher Art und vielzuviel Handgepäck glücklich, wenn auch erst spätabends im Quartier an, der Europa-Akademie Eschwege. - Morgen abend sollte es endlich stattfinden, unser langgeplantes Gastspiel im benachbarten Bad Sooden-Allendorf! Da hieß es natürlich, noch ein bißchen proben - was gut ist, kann ja nur noch besser werden, nicht wahr -, und wir fielen am kommenden Vormittag frisch und wohlgemut in der Kulturhalle des renommierten Kurortes ein.
An diese Konzertstätte haben wir nur die besten Erinnerungen: bereits vor zwei Jahren, 2007, durften wir hier spielen. Dieser moderne Funktionsbau liegt inmitten des murkeligen Fachwerkstädtchens, architektonisch völlig geschickt und äußerst harmonisch in den Kurpark eingebettet - und drinnen: eine fabelhafte Akustik!
Vor zwei Jahren war das Haus gerade gaaanz frisch eröffnet - vor uns ist dort lediglich ein gewisser Herr Claudio Abbado mit seinen Mannen aufgetreten. Danach gleich wir, das Sinfonieorchester Tempelhof! - Ein schönes Programm hatten wir auch damals: Beethovens "Eroica", Schuberts "Unvollendete"...Ach ja ...
In diesem Jahr gab es aber auch feine Sachen: die Dvorak-Sechste; das Tschaikowski-Violinkonzert - und ein bißchen Humperdinck, weil bald wieder Weihnachten ist. Also ran an die Noten!
Allerdings hatte die personelle Ausstattung unseres Klangkörpers leider etwas gelitten - beispielsweise zählte die Bratschen-Fraktion nur noch vier Aktive!, und das, wo die so viele wichtige Passagen haben! - Mathis, der ganz traurig war, daß er nicht gleichzeitig Viola spielen und dirigieren kann, schnappte sich den getreuen Blechbläser Sören Jacobsen und steckte den zu den Streichern. - Jetzt hab ich endlich verstanden, was eine Wechselposaune ist!
Tapfer warfen wir uns in die letzten Proben und festigten unverdrossen nochmals die Fähigkeit, der tempoweisenden Spitze von Mathis' Taktstock geschmeidiger zu folgen sowie die Lautstärke-Gestaltung ein wenig differenzierter zu behandeln.
Zum Beispiel hatte die erdrückend große Kontrabaß-Formation (Erster Solo: Bodo; Tutti-Gruppe: ich) anfangs viel zu sehr "draufgehalten" (später haben wir uns alle "ppp"s sorgfältig eingekringelt). Wenn wir zu energisch waren, dann breitete sich stets ein gelinder Frohsinn im Orchester aus - ich tat errötend so, als sei ich nicht da - das Erste Cello wiegte erbleichend das Haupt, und Mathis pflegte zu ächzen:
"Seeehr schön, Bassi! Aber ein bißchen leiser, bitte!"
Der Maestro ließ also alles einmal durchspielen: Humperdincks "Abendsegen und Traumpantomime", wobei er ständig "Super!" ins Blech rief; dann Tschaikowskis Violinkonzert, wobei er ständig "Ah - toller Sound!" in die Celli rief, - und dann Dvoraks Sechste Sinfonie, und was er da rief, weiß ich nicht mehr, weil ich zu ackern hatte wie ein Holzhauer. Sehr schwierig für Gelegenheits-Streicher!
Später fügte sich alles prima zusammen, sogar die raschen Tonfolgen im "Furiant" und "Finale" des lebensfrohen Dvorak, welcher unsere Fähigkeiten doch sehr forderte - glücklicherweise kam niemand Bösartiges daher und verlangte Rechenschaft über jedes einzelne Zweiunddreißigstel. Aber schon Beethoven hat gesagt: "Was geht mich seine Geige an...!" Damit hat er bestimmt auch die Baßgeigen gemeint!
Zusammenfassend kann man getrost berichten: Mathis dirigierte Dvorak, und wir haben wunderbaren Rabatz gemacht. Auch die Tschaikowski-Solistin untermalten wir nach bestem Wissen und Gewissen, und etwaige kleine Webfehler im Klangteppich fielen entweder gar nicht auf oder wurden geschickt umflügelt. Das Konzert war sehr gut besucht; und dem Publikum muß es gefallen haben: die applaudierten nach jedem Satz!
Und wir, die Kunsthandwerker, saßen stolz mit unseren schweißgetränkten Instrumenten da und hatten nach vollbrachter Heldentat größtenteils Blasen an den diversen Fingern sowie auch ausgeprägtes Ohrensausen, weiche Knie, Druckstellen am Sitzling und Feuerräder vor den Augen.
Hinterher pflügte Mathis, der barmherzige und großartige Orchesterpädagoge, durch die erschöpften Register und schnurrte jedem ins Ohr: "Haste prima gemacht. Ganz, ganz toll gespielt!"
Aaaaaa! Nun noch die zwei Konzerte am 11. und 12. Juli in Berlin, dann Sommerpause - und was kommt dann? Das Brahms-Requiem? Der Ravel-Bolero? Die "Pathetique"? Die Schumann-Dritte und sofort danach die Vierte? Die "Sinfonie der Zehntausend"? - * GRINS*
Man wird immer so mutig nach gut bewältigtem Pensum...!