Auch ich finde die Diskussion interessant, obwohl sie mir nicht ganz neu ist. Wenn man die verschiedenen Standpunkte benennt, ist "Neiddiskussion" eine auf den ersten Blick ganz treffende Bezeichnung, impliziert gleichzeitig aber eine Wertung eines Diskussionsstandpunktes. Was ich damit meine ist, wenn ich beide Standpunkte betrachte, so kann ich festgestellen, daß jemand, der die angeblich neuen, progressiven Spieltechniken hochhält, natürlich nicht neidisch ist auf den alten Kram. Neid ist negativ belegt, moralisch gesehen ist daher derjenige, dem man kein Neid nachgesagt wird, der "Gute" der in der Diskussion angegriffen wird und hat, allen sachlichen Fakten zum Trotz, damit erstmal Pluspunkte. Ich glaube das man den Begriff Neiddiskussion im Zusammenhang hier allerdings viel weiter fassen sollte. Aussderdem scheint es mir nur allzu naheliegend, die wohlbekannte Vorstellung vom gesellschaftlichen Generationskonflikt auf den hier vorliegenden Meinungskonflikt zu übertragen - meiner Ansicht nach ein grosser Fehler.
Zum Verständniss eine kleine Anekdote die ich vor Jahren auf einem Kontrabasssymposium erlebte: Ein junger Kontrabasssolist spielte den Basspart zur Konzertarie Per Questa Bella Mano von Mozart auf einem Instrument mit Terz Quartstimmung, es klang göttlich und für alle war offensichtlich, daß es fingersatztechnisch viel leichter war als auf einem Quartenkontrabass. Der Grund ist sehr simpel, damals und im Umfeld von Mozart war diese Stimmung eben üblich, Mozart hat dies gewusst und hat somit ein zu bewältigendes Stück dem damaligen Bassisten mehr oder weniger in die Hand geschrieben. (Übrigens geht auch Dittersdorf so viel leichter). Von einer anwesenden Proffessorin, die ich mal als Vertreterin der alten Dreifinger Quartenbassschule bezeichne, kam auf dem Symposium anschließend der Kommentar: "Das sind ja eigentlich unlautere Mittel". Ich habe mich damals über diesen Spruch tierisch geärgert und mir gedacht "Du blöde Kuh, bloß weil du es nicht gecheckt hast und dir 30 Jahre lang die Finger abgebrochen hast an einem Stück was überhaupt nicht für dein Quarteninstrument geschrieben wurde, kommst du jetzt mit einer Moral die sich aus deiner Scheuklappensicht der Quartenbassistin ergibt".
Heute sehe ich das noch genau so, denke aber noch einen Tick weiter. Ich stelle mir eine Situation vor in der es beispielsweise um die Vergabe einer Stelle gegangen wäre, also eine existenzielle Situation, und konstruiere mal den Fall, das beide, die Proffessorin und der junge Mann das Stück hinterm Vorhang hätten spielen müssen. Dann hätte der junge Mann mit seiner Technik die Proffessorin ausgestochen, natürlich zu Recht weil "entscheidend ist was klingt". Und jetzt wird es richtig philosophisch, hätte man ihm unterstellen können daß er diese Technik aus eigennützigen Interesse angewandt hat um sich einen existenziellen Vorteil zu verschaffen oder wäre zu unterstellen das es um die Kunst ging?
Entschuldigt wenn ich so langatmig meine Denkweise zu erläutern versuche aber diese ist es die mich dazu bringt folgende Frage aufzuwerfen. -
Steckt hinter dem Standpunkt "pro neue Spieltechniken" vielleicht auch ein Ansinnen "ich will mich profilieren zu Lasten von Leuten die etwas nicht wissen und deshalb nicht können"? Ich unterstelle mal das beide Parteien gleichviel Üben, gleichviel "Opfer" fürs Instrument bringen. Wenn diese Frage daher berechtigt ist, muß die Bedeutung des Begriffes "Neiddiskussion" ausgeweitet werden, denn die Einen neiden den Anderen die Musik und die Anderen neiden den Einen den Job, vielleicht auch den Ruhm.
Steckt hinter den "neuen Spieltechniken" der reine persönliche Spaßfaktor, die reine Neugier, Kreativität und das Ansinnen Kunst zu schaffen und / oder zu transportieren, so ist das für mich naheliegend. Steckt dahinter noch ein konkurenzausschaltendes oder sonstwie taktisches Ansinnen, so ist das für mich die gleiche Ebene die der "alte Sack" benutzt, wenn er gegen die "neuen Spieltechniken" mauert.
Was die Bedeutung eines solchen Meinungskonfliktes anbelangt, gibt es für mich den grossen Unterschied zwischen professionell ambitionierter Sichtweise und den Leuten denen es nicht um Musikertäigkeit mit finanzieller Absicherung geht, denn im ersten Fall ist es eigentlich ein Interessenkonflikt.
Das im professionellen Musikbetrieb gegen Andersartigkeit und Neuartigkeit massiv gemauert wird, ist für mich erlebte Realität. So ist es z.B. für mich eine künstlerisch nicht nachzuvollziehende Borniertheit, daß in Profiorchestern BassitInnen abgelehnt werden weil sie die "falsche" Bogentechnik spielen (deutsch oder französisch), auch wenn das klingende Ergebnis grundsätzlich akzeptabel ist. Ernst schreibt in seinem Beitrag auch, daß der phänomenale Mensch aus Rostock seine Quintstimmung deshalb nicht lehrt, weil man damit keine Stelle bekommt. Vermutlich nicht weil das schlechter klingt, sondern weil es anders aussieht und weil manche in den entscheidenden Bassgruppe das Hosenflattern bekommen weil es vielleicht partiell sogar besser klingen könnte als sie selbst.
Ich weiß auch, das es für manche Leute schwierig wird bei Probespielen, weil sie aus taktischen Erwägungen heraus den Fingersatz und den Strich des Solobassisten spielen, da dieser sich dadurch bestätigt sehen möchte, anderenfalls macht er dicht und senkt den Daumen, egal was klingt. Auch wenn es grotesk anmutet, kann ich aus diesen Erfahrungen heraus Leuten, die auf klassischer Ebene ernsthafte Berufsabsichten haben nur raten, sich traditionellen Spieltechniken gegenüber nicht zu verschliessen, bzw diese nicht zu verlernen.
Abschließend noch etwas zum hier hochgelobten R.G. Fons, wenn er mal in der Halslage spielte, benutzte er als ich ihn sah mitnichten einen durchgehend konsequenten Vierfingersatz. Ich glaube daß er den Vierfingersatz bei Bedarf und nach ähnlichen Kriterien angewendet hat wie es Mark Morton in seiner Veröffentlichung zum erweiterten Simandlfingersatz empfiehlt (übrigens der eigentliche Auslöser für die hier geführte Diskussion). Fons spielte stehsitzend, auf einem Instrument mit Knickstachel, weitgehend mit der Technik seines Lehrmeisters und wie die Fachwelt ja weiß auf einem Fünfsaiter mit hoher C Saite. Bei aller Bewunderung habe ich in seiner geschrumpften Trioformation, über längere Strecken allerdings das Bassinstrument vermisst.
Roland