Hallo, ich würde zunächst unterscheiden zwischen dem Problem „Übernahme eines Referenztones auf eine Saite“ und dem Problem diesen Referenzton zur Stimmung der verbliebenen Saiten zu benutzen. Die Lösung der ersten Aufgabe ist zwar Vorausetzung für die Bewerkstelligung der Zweiten, trotzdem geht es nach einer primär gestimmten Saite bei der dann folgenden „Binnenstimmung“ um andere Gegebenheiten.
Es ist richtig, das die hohen Streicher einen gewissen Vorteil dadurch haben, dass sie mit Leersaiten viel lauter sein können als Kontrabässe mit Flageoletten. Die Lautstärke hat eine Bedeutung für die Durchsetzungsfähigkeit gegen den Lärm der anderen. Die vergleichende Beurteilung von Tonhöhen nach Gehör, ist meiner Ansicht nach etwas Individuelles und in den Feinheiten manchmal sehr subjektiv bis zickig, trotzdem glaube ich, dass reine Quinten nicht unbedingt besser zu bestimmen sind als Primen und Oktaven. Den Referenzton nehmen ja auch alle als Prime bzw. Oktave ab, oder gibt es Konzertmeister die zu dem Oboen A zuerst die E Saite stimmen?
Ich glaube, dass der entscheidende Vorteil der hohen Streicher darin besteht, da sie zwei Saiten in etwa gleicher Lautstärke und als liegenden Zweiklang spielen und während sie das tun die Tonhöhe einer Saite verändern und eine analog dem sich verändernden Saitenzug veränderte Klangauswirkung erzeugen. Damit stellt sich nicht zwangsläufig die alleinige Frage „muss die eine der Saiten höher oder tiefer“ (=Wuh Wuh), sondern man beurteilt eine glissandoartige Intervallveränderung als dynamischen Prozess und erlebt „Aha, durch diese Drehrichtung des Stimmwirbels wird es analog meiner Bewegungsgrösse beschissener“ oder „ich bin auf dem richtigen Weg“. Prima - aber können wir Kontrabassisten uns diese klangliche Möglichkeit aneignen um nicht benachteiligt zu sein?
Es ist möglich die Leersaiten als reine Quarten zu hören. Wenn man denn überhaupt in der Lage ist irgend in Intervall sicher zu erkennen und dessen Intonation zu beurteilen, kann man das auch mit den tiefen Quarten systematisch üben und definitiv lernen. So ist man auf dem gleichen Level wie die hohen Streicher. Schwierig wird das zunächst, wenn vier oder sechs Kontrabässe dieses zeitgleich und laut tun, weil man unsicher wird welches das eigene Binnenintervall ist und welches Intervall sich aus dem Zweiklang von zwei Instrumenten ergibt. Das gleiche Problem haben die andern Streicher auch, bei uns ist es vergleichsweise viel problematischer, weil die Kontrabässe den Klang nicht kugelig sondern überwiegend nach vorne abstrahlen und ausserdem die Schallwellen der tiefsten Grundetöne erst in einiger Entfernung vor dem Instrument ausgeschwungen haben. Das ist der Klang den die anderen Streicher hören, wir nehmen unseren Klang selbst anders wahr und auch das ist ein Grund dafür, dass das Einstimmen von Kontrabässen mit Leersaiten als schwierig gilt bzw. (zu Unrecht) als Unmöglichkeit deklariert wird.
Das Phänomen der akustischen Irrealität, aufgrund der Nähe zum eignen Instrument, kennen die anderen Streicher nicht. Trotzdem bekommen die hohen Streicher wahrscheinlich erst mal einen Föhn wenn Kontrabässe in Leersaiten einstimmen, weil ihre Einstimmlautstärke mal nicht dominiert. Vermutlich werden sie sich beschweren und behaupten sich selbst nicht mehr zu hören und nicht korrekt einstimmen zu können. Auf Grundlage dieser Krisensituation könnte man ihnen ein gewisses Problembewusstsein für die Einstimmbesonderheiten von Kontrabässen nahebringen und somit einen Verhaltenskodex aushandeln, wonach die Kontrabässe Gelegenheit bekommen separat einzustimmen und zwar solange bis die Bassgruppe signalisiert „wir sind fertig“.
Dann kann man die einfacheren und leiseren Einstimmmethoden anwenden, günstig ist es sicher, sich innerhalb der Bassgruppe auf eine einheitliche Stimmmethode zu einigen und diese dann auch festzulegen. Ich persönlich kann die Einstimmflageolette in der dritten Lage mittels Bindung (auf einen Strich, also nicht Wuh Wuh) so erzeugen, dass deren Abweichung vom Primklang nach dem Abheben von Bogen und Fingern noch ca drei bis fünf Sekunden zu hören ist, Zeit genug um an eine Stimmmechanik zu greifen und zu hören was mit dem im Raum stehenden Flageolettklang passiert, wenn ich den Stimmwirbel bewege. Das geht genau so gut wie mit den Oktavflageoletten, ist für mich balancemässsig einfacher und ich finde zwei Flageolette von der Klangfarblichkeit her einheitlicher, darum hörend sicherer zu beurteilen.
Die Einstimmethode mit der Quinte, erzeugt aus Oktavflageolett und nächst höherer Leersaite ist ein genau so alter Hut wie die Primstimmung mit Flageoletten. Leider funktioniert beides nicht, wenn man bei einem Fünfsaiter die tiefste Saite auf Kontra C stimmen muss (meist ist ein Subcontra H weder nötig noch spieltechnisch sinnvoll). Ich wende den Quintvergleich (bzw Sextvergleich) nur als Endkontrolle meiner Flageolettstimmung an, wenn der allgemeine Einstimmlärm riesig ist und keine Einigung zu erzielen ist. Wenn dann hinterher jemand wegen einer unsauberen Leeresaite bei mir meckert, haue ich ihm aufs Maul. Es wird sowieso immer zuviel Trara um Intonation gemacht, die meisten Kollegen tun sich damit wichtig, weil sie oft nicht fähig sind eine nachvollziehbaren Meinung zu musikalischer Gestaltung und künstlerischer Qualität zu artikulieren.
Leute macht euch nicht ins Hemd, ihr wisst doch „Ein reiner Ton auf einem Kontrabass ist reiner Zufall“ – ich frage: „und warum hat man die Kisten dann nicht schon längst aus dem Verkehr gezogen?“ „Wir erzeugen eben ein Geräusch das benötigt wird“. Letztere Aussagen stammen von Leuten die nicht das Zünglein an der Waage darstellen aber auch nicht unbedingt als Dummköpfe verschrien sind. So sehe ich das. Ciao Roland