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Bogenhaltung - ''Zwischen zwei Fronten''

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Zugeordnete Kategorien: Bogen & Streichtechnik

Vic Profilseite von Vic, 24.08.2011, 15:29:10
Bogenhaltung - ''Zwischen zwei Fronten''

 Hallo,

ich habe vor kurzem meinen Kontrabasslehrer gewechselt. Bei meinem alten habe ich 3 Jahre gespielt und ich hatte jetzt gerade meine erste Stunde hinter mir. Jetzt will mir nur mein neuer Lehrer unbedingt seine Bogenhaltung aneignen. Nur so zur Information: Mein alter Lehrer hat bei Bozo Paradzik studiert und hat mir dessen Bogenhaltung beigebracht, bei der die Bogen eher richtung ''Fingerwurzel'' liegt und der Daumen und der Zeigefinger zusammen sind (der Daumen wird nicht über die Stange gestreckt!). Mein neuer ist ''Verfechter'' der alten Ludwig-Streicher-Schule und hat mir eben dessen Bogenhaltung mit überstrecktem Daumen und Bogenstange ganz richtung Daumen beigebracht. Sie waren übrigens Kollegenin einem Orchester, bis mein alter die Stelle gewechselt hat und haben sich auch gut verstanden.

Aus meiner Sicht ist es so, dass mir die alte Bogenhaltung von Paradzik einfach viel angenehmer ist. Mein Ton ist bei dieser auch deutlich besser. Jetzt bleibt nur noch die Frage, was ich machen soll. Ich möchte nämlich auf gar keinen Fall mit meinem neuen Lehrer Streit bekommen...Über ihm habe ich sehr gute Kontakte ins Orchester usw. Was ist nun für meine Zukunft besser? Ich hatte nämlcih auch vor, später bei Herrn Paradzik zu studieren, falls alles glatt läuft... Naja, ich wollte mir einfach mal eine weitere Meinung einholen; ich bin gespannt.

Ich hoffe auf viele anregende Beiträge.

Vic

Bassta7 Profilseite von Bassta7, 24.08.2011, 19:09:18
Ach Himmel, sind wir wieder so weit...
Ich finde das immer schrecklich blöd, diesen "Schulenstreit". Selber benutze ich französische, deutsche und Gambenhaltung, beim deutschen Bogen wechsele ich zwischen verschiedenen Handhaltungen hin und her, abhänglich von was die Musik will. Manchmal Streicher, manchmal soll man sagen "konventionell". Paradzic habe ich ehrlich lange Zeit versucht, geht für mich aber überhaupt nicht. Kann sein dass es Leute gibt die es können und damit glücklich sein. Das ist eben persönlich. Nicht alle Hände sind gleich.

Nach fast vierzig Jahren mit dem Kontrabass kann ich nur beschliessen dass man ja immer lernen kann, und nicht in Schablonen denken soll. Wie einst ein Lehrer sagte, "affektiv offenstehen" für das was anders ist, was neu ist, was man vielleicht auf dem ersten Blick ablehen würde. Was mich aber auch immer gestört hat, sind genau die Lehrer die behaupten das warme Wasser erfunden zu haben, und die den Stein der Weisen gefunden haben. Ihre "Wahrheit" wollen sie weitergeben ohne Rücksicht auf die Unterschiede zwischen Menschen.

Ich glaube, sehr oft geht man von falschen Praemissen aus. In meiner Meinung steht die Musik selber an erster Stelle. Aus der Musik heraus findet man Lösungen, Haltungen, Fingersätze, Ideen. Meistens ist Musikunterricht lauter Technikunterricht und gibt der Lehrer einfach seine eigene technische und musikalische Beschränkungen weiter.

Ich würde in diesem Fall "affektiv offenstehen" und ehrlich versuchen die "neue" Bogenhaltung zu erlernen und mit der alten zu kombinieren. Im besten Fall hat man was dazugelernt, dass man gebrauchen kann, dass man in bestimmtem Fällen vielleicht noch lieber hat als die schon gekannte Haltung. Im schlimmstem Fall hat man die Erfahrung gemacht das es (noch) nicht gelingt, hat man aber auch eine gewisse Flexibilität in Technik und Charakter bekommen.

"alles hat einen tieferen Sinn" sagte der Soldat Schweik, und er hatte recht.

Viele kollegiale Grüsse, und viel Erfolg !


Bassta7
LowB Profilseite von LowB, 24.08.2011, 21:43:05

 

 Hi Vic!

Bassta7  hat ja so was an recht! Ziel ist die Musik und nicht irgendwelche Techniken oder Haltungen! Standardmäßig soll es neun unterschiedliche deutsche Bogenhaltungenen geben - und dann sehe ich immer wieder Bassisten mit weiteren individuellen Lösungen. Adaptiere alles, was Dir angeboten wird - und schicke den Lehrer in die Wüste, wenn er nicht bereit ist das zu akzeptieren, was Du für Dich - und Deine Musik! - am für Dich besten befindest.

Es kann auch sein, daß Du für Dich auf einem 4-Saiter 3/4-Baß in Solostimmung und 120 g Bogen mit kleinem Frosch eine andere Haltung als auf einem 5-Saiter 4/4-Baß in Orchesterstimmung und 150 g Bogen mit großem Frosch findest. Nimm alles an, was Dir geboten wird - und erkenne rechtzeitig die Beschränkungen Deines Lehrers, sofern er denn welche haben sollte.

Eine wirkliche Patentlösung mag das nicht sein - die gibt es aber wohl auch nicht.

Grüße

Thomas

Basstölpel Profilseite von Basstölpel, 24.08.2011, 21:50:18

 Hi Vic,

ich wuerde 2 Sachen probieren:

1) der von deinem neuen Lehrer propagierten Haltung eine Chance geben. Es ist ja klar, dass du nach Jahren mit Haltung A nicht auf anhieb mit Haltung B klarkommst. Irgendwie hat jede Technik ihre Logik.

2) mit deinem neuen Lehrer darueber reden, dass du mit der anderen Haltung eigentlich gut klarkommst, und keinen Grund siehst zu wechseln.

cheers

Armin

Bernd_B Profilseite von Bernd_B, 24.08.2011, 23:56:24

 Also,

vielleicht hat der Wunsch Deines Basslehrers einen einfachen pragmatischen Grund: Mit dieser Bogenhaltung hat er sich intensiv befasst und kann Dir für genau diese Tipps geben, was zu tun ist. Dass er ebendiese Bogenhaltung selber verwendet muss nicht unbedingt auf intensive Beschäftigung mit anderen möglichen Varianten beruhen, sonder liegt vielleicht daran, dass er mit dieser Haltung aufgewachsen ist und gut zurecht kommt - sonst hätte er es auch nicht so weit gebracht.

In meiner Hobbymusikerkarriere hatte ich Unterricht bei mehreren Lehrern (aufgrund von Ortswechseln). So kommt es, dass ich drei Bogenhaltungen "gelernt" habe: Stange auf dem ersten Glied des Zeigefingers, Stange am Daumengelenk (Streicherhaltung) und Stange auf dem Gelenk des Zeigefingers (in dieser Reihenfolge).

Mit der Streicherhaltung bin ich weniger gut zurechtgekommen, weil der Hebelarm zum Handgelenk kürzer ist als bei den anderen beiden. Der nahezu unmerkliche Bogenwechsel ist mit damit nicht so gut gelungen.

Aus Trägheit bin ich seit mehreren Jahren bei der letzten Variante mit Stange auf dem Zeigefingergelenk geblieben. Der Nachteil dieser Haltung ist, dass sich selbst bei einem unregelmäßig übenden Hobbybassist ein unschöner Bindegewebshöcker über dem Gelenk bildet. Bei Germany's next Topmodel würde damit man achtkant rausfliegen. Zudem schmerzt das Gelenk am Ende eines intensiven Probenwochenendes mit sagen wir mal einer Brucknersymphonie mit 4 Bässen gegen den vollen Bläsersatz. Ab Sonntag Nachmittag wechsle ich dann in die bequemere Streicherhaltung - gelernt ist gelernt ;-)

Was soll ich Dir raten? Wenn Dein Lehrer ansonsten OK ist und er Dir tatsächlich nur mit seiner Bogenhaltung weiter helfen kann, dann steig um. Erstens heißt das ja nicht, dass Du die andere Haltung vergessen musst, und zweitens kannst Du Dich hinterher bewusst für die eine oder die andere entscheiden - für diejenige mit der Du Deine musikalischen Vorstellungen besser realisieren kannst.

Wenn Deine beiden Lehrer im selben Orchester gespielt haben, scheint die Bogenhaltung auch nicht das entscheidende Kriterium gewesen zu sein, ob man die Stelle bekommt.

Viel Freude und viel Erfolg

Bernd

 

 

nagybögö Profilseite von nagybögö, 25.08.2011, 10:12:18

 Ein Lehrer kann Dir nur das beibringen, was er selber kann. Ich bin Berufsmusiker und beherrsche nur eine Spielart der deutschen Bogenhaltung. Natürlich habe ich mich mit verschiedenen Varianten auseinandergesetzt. Aber ein Multitalent wie z.B. bassta7 bin ich nicht. Ich möchte behaupten, dass dies auch die Ausnahme ist. Deshalb kann ich Deinen neuen Lehrer voll und ganz verstehen, der die Bogenhaltung unterrichtet, von der er überzeugt ist und mit der er sich viele Jahre auseinandergesetzt hat.

Wenn Dir die bisherige Technik so wichtig ist, musst Du einen Lehrer suchen, der sie unterrichtet. Mein Rat wäre aber, die andere Haltung auszuprobieren und mindestens ein halbes Jahr dranzubleiben. Ich war froh, vor dem Studium die Findeisen- und Streicher-Technik bereits kennen gelernt zu haben und von den Stärken und Schwächen zu wissen. Gerade das Ausprobieren von verschiedenen Techniken hilft ungemein, den Horizont zu erweitern. Von daher ist das doch eine super Möglichkeit!

An der "alten" Streicher-Haltung gibts es übrigens nichts auszusetzen. Spontan fallen mir sechs Bass-Professoren in Deutschland/Österreich ein, die sie, bzw. eine nahe Variante, lehren.

UgoBassi Profilseite von UgoBassi, 25.08.2011, 10:23:27

 ".....viele anregende Beiträge" - also noch einer:

Die Bogenhaltung kann schon ein entscheidendes Kriterium für das Erspielen einer Stelle sein. Siehe Diskussion über französische/deutsche Bogenhaltung und die Festlegung auf eine bestimmte Haltung in anderen Ländern.

Ludwig Streicher schreibt in seiner Kontrabass-Schule:"Das Wichtigste auf unserem Instrument ist Kraft" (sinngemäß). Und genau darauf ist auch die Bogenhaltung angelegt. Ich hatte mal die Chance, Ludwig Streicher persönlich zu erleben, mit ihm zu sprechen (und sogar mal seinen Bass "halten" zu dürfen). Der Mann war einfach eine Naturgewalt mit ungeheurem Temperament. Mir ist damals auch aufgefallen, dass er (trotz seiner großen Hände) einen ziemlich kurzen Daumen hatte. Um einfach mehr Hebelarm auf die Stange zu bringen (Kraft), hat er Zeigefinger und Mittelfinger zur Hilfe genommen. Sein Bogen hatte überdies einen relativ flachen Frosch (beschreibt er übrigens auch in seiner Schule mit Bildern), damit die Handhaltung überhaupt funktioniert.

Allein mit der Streicherschen Handhaltung ist es also nicht getan, der Frosch muss auf die Größe der Hand abgestimmt werden. Sonst tut es nach einiger Spielzeit einfach weh, weil die Hand insgesamt überdehnt ist.

Unbestritten ist, dass mit dieser Bogenhaltung eine erhebliche Lautstärke auf dem Bass zu erzielen ist - dazu muss die Saitenlage passen (Streicher spielte - bei Solostimmung - 8 mm auf der A (G), 9 mm auf der E(D), 10 mm auf der H(A) und 11mm auf der Fis(E)- Saite). Mir sind fast die Finger abgebrochen, als ich versuchte, auf seinem Bass einige Töne zu greifen.

Bei niedrigerer Saitenlage wird das eigentlich angestrebte Ziel dieser Bogenhaltung nicht erreichbar sein.

Zusammengefasst: die Streichersche Bogenhaltung ist Teil eines eigenen Systems aus Bogen, Froschgröße, Handgeometrie, Saitenlage (und auch Anspruch an die Präsenz des eigenen Tones. Entweder passt alles zusammen oder es wird nicht (richtig) funktionieren.

Wenn Dein neuer Basslehrer Dir zu allen Punkten Antworten und Lösungen geben kann, ist es den Versuch wert.

Wenn es nach einiger Zeit nicht klappt, sollte jeder gute Lehrer die dem Schüler besser passende Bogenhaltung zulassen. Ich kenne einige Fälle, in denen das so gemacht wurde - verlangt von dem Lehrer natürlich auch einiges an Einfühlungsvermögen in eine andere Haltung und deren Möglichkeiten und Grenzen.

Norbert

 

Vic Profilseite von Vic, 26.08.2011, 13:55:19

 Schonmal vielen Dank für vielen Antworten. Ich versuche sie alle mit in meine Entscheidung miteinzubeziehen, viellleicht kommt ja noch etwas vom Forum.

Neuester Beitrag gkostic_bass Profilseite von gkostic_bass, 18.09.2011, 22:01:23

 

 Lieber LuBe,

hier ein paar Sätze die Dir helfen werden: ES IST NICHT WICHTIG WIE DU DEN BOGEN HALTEST SONDERN WIE DU DEN ZIEHST. Es gibt schon gute und schlechte Bogenhaltungen. Jede GUTE Bogenhaltung hat Ihre Pros und Kontras; im Laufe der Zeit wirst Du schon kapieren welche Haltung wirkt am besten im bestimmten Moment.
 

Viel Erfolg und beste Grüsse!

Prof. Goran Kostic

 

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