Ein Laien-Bassist
Beobachtungen eines Laien-Kontrabassisten
Liebe Mit-Musiker!
Ab Mitte des Monats November bis in die ersten Dezembertage hinein können wir alljährlich ein wenn auch ständig wiederkehrendes und liebgewordenes, aber immer wieder verblüffendes Naturschauspiel verfolgen: das Massenschlüpfen der „Semiprofessionellen Kontrabassisten“ sowie das „Schwärmen“ der verwandten Art, der „Ehemaligen Profis“. Obwohl ein ähnliches Phänomen bereits im Frühsommer stattfindet, so ist jenes doch nur ein bedeutend weniger umfangreiches; nein, die Hoch-Zeit der Schwarmbildung liegt zweifelsohne in den trübdunklen Frühwintertagen.
Auf den Lockruf „Konzert! - Konzert!“ umschleichen die Frischerschienenen Probenräume, Schul-Aulas, Gemeindesäle und Kirchenemporen, hocken bisweilen einige Proben lang schüchtern in hinteren Stuhlreihen und halten Baßbogen, Kolophonium und Stimmgeräte als Zeichen ihres Standes vor sich; jedoch spätestens drei Termine vor der Generalprobe überwinden sie ihre Scheu und ziehen langsam, aber beharrlich auf jeden verfügbaren freien Platz hinter der Cellogruppe.
Ein rascheres Anlocken ist jeweils bei Verwendung bestimmter verführerischer Begriffe möglich, welche jedoch von Jahr zu Jahr verschieden sein können und daher nicht immer von Erfolg gekrönt sind – in dieser Saison war es der Ruf „Brahms!“, mit welchem die Verfasserin schöne Ergebnisse erzielen konnte. (Aber auch „Dvorak!“ oder „Schumann!“ versprechen verblüffende Resultate.)
Bilden die erwartungsfrohen Konzertmitspieler dann stabile Grüppchen um das erste Pult, so ist für den betreuenden Laienbassisten höchste Vorsicht und Aufmerksamkeit das Gebot der Stunde. Er sorge für das Vorhandensein von genügendem und gut lesbaren Notenmaterial (niemals zu kleine Kopien!) , möglichst bereits mit „Strichen“, deutlichen Markierungen und Dirigentenanmerkungen versehen; er organisiere Notenpulte (nicht zu wacklig), sorge für Staublappen, Bleistifte (mit Radiergummi) und Stimmgerät und ziehe sich sodann - und dieser Punkt ist meinen Mit-Laien besonders ans Herz zu legen! - für die letzten Proben sowie für das Konzert lächelnd, aber konsequent in den Hintergrund zurück, vorzugsweise an das letzte Pult; denn wie leicht ist ein „Semiprofessioneller“ vergrämt!, und ach, Du würdest im kommenden Jahre vergeblich auf den „Ehemaligen Profi“ warten!
Sind aber alle Voraussetzungen aufmerksam erfüllt und haben die Lockrufe gefruchtet, so steht den treusorgenden Laien-Bassisten ein angenehmes Konzerterlebnis bevor, dergestalt, daß der Dirigent (was er sonst das ganze Jahr über nur selten zu tun pflegt) freundliche Blicke in die Baßgruppe wirft und eventuell sogar deutliche Einsätze erteilt; schnelle Läufe, vertrackte Taktstellen und komplizierte Modulationen verlieren ihren Schrecken, da die „Semiprofessionellen“, sobald der Laie ihnen Takt und Tempo bescheiden vorgeführt hat, sich voll Begeisterung auf diese „Stellen“ konzentrieren und dem Laien (zu dessen stillem Vergnügen) nur mehr lange Zielnoten und die bequemen Klangteppiche des „Majestoso“ überläßt.
Nach Beendigung der Winter-Konzertphase wird es schnell wieder still in den Baß-Ecken der Laienorchester; gesättigt vom Beifall des wohlwollenden Publikums und umsichtig gepflegt von den Laien, verschwinden die wertvollen Konzertspieler bis zur nächsten Saison in ihren Verstecken, um hier dem kommenden Schlupf entgegenzuträumen. Nur vereinzelt konnten bislang ganzjährig hier und da hartnäckige, beifallshungrige oder besonders gutmütige Exemplare im sporadischen Einsatz in den Orchestern beobachtet werden. Hierbei handelt es sich jedoch fast stets um Vertreter „Semiprofessionellen“ und nur sehr selten um „Ehemalige“.
Antje Zott, „fortgeschrittener Anfänger“, dessenungeachtet jedoch in der letzten Saison Erster und einziger Solo-Baß im „Berlin-Brandenburgischen Sinfonieorchester“ (BBSO) sowie im „Sinfonieorchester Tempelhof“ (SOT)
Dies wurde übrigens veröffentlicht in dem weltberühmten Presse-Erzeugnis „Das Liebhaberorchester“ 01/2007 – Auflage etwa 5000 Stück – zum Ruhm der Tiefen Streicher. Gut, was? (*GRINS*)